Wie geht man in einer bestehenden Beziehung damit um, wenn der andere plötzlich schlecht riecht?
VM: Hier stellt sich zunächst die Frage, ob er jemals gut gerochen hat oder ob es nur in meiner Wahrnehmung so war. Wichtig ist, es offen und ehrlich, aber so sanft wie möglich anzusprechen. Liebe und Humor helfen, Ratschläge sollte man nicht erteilen, das sind eben immer Schläge. Oft reicht es schon zu sagen: ‚Du hast Mundgeruch’, den anderen dabei lieb anzuschauen und bei der Hand zu nehmen. Er wird dann schon Abhilfe schaffen.
Kommen Paare deshalb zu Ihnen in die Praxis?
VM: Immer wieder. Schlechter Geruch kann zu einer Schieflage in der Partnerschaft führen und viele Ursachen haben, von einer einseitigen Ernährung bis hin zu Bewegungsmangel. Manchmal denken die Menschen nicht daran, den möglichen Grund ärztlich abklären zu lassen. Kürzlich war ein Paar bei mir, das darunter litt, dass der Mann auf einmal einen unangenehmen Geruch verströmte. Es stellte sich heraus, dass er seit kurzem Blutdrucksenker nahm, was seinen Körpergeruch verändert hat.
Was sagt es über Paare aus, wenn sie sich im übertragenen Sinne nicht mehr „riechen“ können?
VM: Gut möglich, dass eine Trennung ansteht. Wenn ich jemand nicht riechen kann, dann hat das schon etwas sehr Grundlegendes. Es ist eine Geste der Ablehnung, die zeigt, dass ich den anderen gar nicht mehr in seiner Eigenart erkennen möchte.
Wozu raten Sie, wenn beide die Beziehung retten wollen?
VM: Als Therapeutin würde ich dann besonders auch auf die Körpersprache achten: Gibt es im Gespräch synchrone Bewegungen, verändern beide ihre Körperhaltungen im selben Moment, atmen sie im ähnlichen Rhythmus, lachen sie über Scherzversuche des anderen, kurzum, schwingen diese zwei Menschen noch miteinander? Ist also noch eine Basis vorhanden? Gemeinsame Aktivitäten können helfen – tanzen gehen, gute Literatur zusammen lesen, gutes Essen genießen, Jahresfeste und Rituale feiern und sich darüber austauschen. Über die Pflege der anderen Sinne kann man so den Gleichklang wieder herstellen.
Wieviel Projektion steckt darin, wenn ich den anderen nicht mehr „riechen“ kann? Wieviel hat es also mit mir selbst tun?
VM: Vermutlich eine Menge. Bin ich unzufrieden, projiziere ich meine Unzulänglichkeiten auf den anderen. Eine feste Beziehung hat dann nichts – mehr – mit animalischen Instinkten wie Riechen zu tun, sondern damit, mit dem anderen in einen Erkenntnis- und Wachstumsprozess zu gehen. Dann kann man sich auch über den unangenehmen Geruch hinwegsetzen. Eine Klientin von mir nannte eine solche Haltung, wenn auch in einem anderem Zusammenhang, ‚Verzeihlichkeit’. Das finde ich sehr schön. Dazu gehört, sich selbst gegenüber nachsichtig sein zu können – und zu merken, wo ich eigene ungeliebte Anteile auf den anderen projiziere. Nicht der andere ist schuld an meinem Unglück und muss sich ändern. Es geht um meine eigene Einstellung. Der andere ist der härteste Lehrmeister, der mir spiegelt, wo es bei mir selbst knirscht.